Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Tobias Wilkens
Ja, so ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (Az. 15 SLa 315/25) vom 25.08.2025. Was war geschehen?
Ein als Be- und Entlader beschäftigter Arbeitnehmer hatte trotz Verbot während der Arbeitszeit sein Handy privat genutzt. Der vorgesetzte Gruppenleiter sah dies und näherte sich ihm. Mit den Worten „Hau ab!“ stieß der Arbeitnehmer seinen Vorgesetzten mit der Hand gegen die Schulter. Mit dem Fuß trat er in seine Richtung und berührte ihn dabei. Danach benutzte er sein Handy weiter.
Der Arbeitgeber kündigte nach Zustimmung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise fristgerecht.
Das erstinstanzlich befasste Arbeitsgericht Hannover (Az. 14 Ca 238/24) gab dem Arbeitnehmer mit Urteil vom 02.02.2025 recht – die Kündigungen waren also unwirksam.
Der Vorfall vom 22.10.2024 rechtfertige die außerordentliche Kündigung und beide Vorfälle zusammen die ordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht.
Der Arbeitgeber legte Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein. Das Berufungsgericht kassierte die erstinstanzliche Entscheidung und gab dem Arbeitgeber recht. Die außerordentliche Kündigung ist auch ohne vorherige Abmahnung wirksam. Ein außerordentlicher Kündigungsgrund wurde bejaht:
Für die Kündigung besteht ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB, denn es liegen Tatsachen vor, aufgrund derer der Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden konnte.
Amtlicher Leitsatz des Berufungsgerichts:
- Die Tätlichkeit gegenüber einem Vorgesetzten kann eine außerordentliche Kündigung auch dann rechtfertigen, wenn sie nicht mit erheblicher Gewaltanwendung erfolgt.
- Reagiert ein Arbeitnehmer auf die Ansprache eines Vorgesetzten wegen der pflichtwidrigen Nutzung eines privaten Smartphones mit den Worten "Hau ab hier", stößt ihn weg und tritt nach ihm, ist eine Abmahnung vor dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung entbehrlich.
Aufgrund von vorgelegten Videoaufnahmen waren die Richter überzeugt, dass der Gruppenleiter sich in der Situation nicht unangemessen verhalten hatte. Er hatte den Mann nicht provoziert und auf dessen Handy nur geschaut, um festzustellen, ob es ein privates Gerät sei. Genauso wenig war er dem Arbeitnehmer so nah gekommen, dass dieser sich mit einem Stoß hätte Raum verschaffen müssen.
Auch wenn der Stoß und der Tritt gegen den Vorgesetzten nur leichte Berührungen waren, die keine Schmerzen verursachten - das Gericht sah im Verhalten des Arbeitnehmers eine schwerwiegende Pflichtverletzung. Es sei eine Missachtung des Vorgesetzten, die der Arbeitgeber nicht hinnehmen müsse. Eine Abmahnung war demnach nicht nötig.
Dem Kläger wurde zwar seine etwas mehr als fünfjährige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten zugutegehalten. Demgegenüber wiegt zu seinen Lasten die Erheblichkeit der Pflichtverletzung schwer. Der Kläger hat sich gegenüber seinem Vorgesetzten respektlos und unter Anwendung körperlicher Gewalt verhalten.
Erfreulicherweise vertrat das Berufungsgericht die lebensnahe Annahme, dass der Arbeitnehmer von vornherein wissen müsse, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten missbilligt. Der Kläger konnte nicht davon ausgehen, dass die Beklagte es akzeptiert, wenn er Vorgesetzte, die einen Pflichtverstoß feststellen in der geschehenen Weise anspricht und ihnen gegenüber tätlich wird. Eine Abmahnung war daher nicht erforderlich.