Fünf Neue wollen in den Landtag und üben Kritik an der Regierung

Stader Tageblatt v. 21.09.2022 
 
Von Karsten Wissner
 
Sie sind allesamt keine Politikprofis. Alle fünf Kandidatinnen und Kandidaten bei der Podiumsdiskussion der Mittelständischen Verbände in Stade bewerben sich zum ersten Mal um ein Mandant im niedersächsischen Landtag.
 
 

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Die Podiumsdiskussion im Havenhostel (von links): Melanie Rost-Reinecke, Birgit Butter, Corinna Lange, Matthias Mittlmejer und Esther Deppe-Becker diskutieren mit Arno Schupp und Björn Vasel vom TAGEBLATT. Foto: Wissner
 
„Das ist ein interessantes Kennenlernen“, sagte Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Stade im Elbe-Weser-Dreieck. Für den Wahlkreis Buxtehude stellen sich Birgit Butter (CDU, 50), Matthias Mittlmejer (SPD, 31) und Esther Deppe-Becker (FDP, 48) zur Wahl. Melanie Rost-Reinecke (CDU, 42) und Corinna Lange (SPD, 36) wollen das Direktmandat im Wahlkreis Stade erobern. Moderiert wurde die Veranstaltung von TAGEBLATT-Chefredakteur Arno Schupp und Redakteur Björn Vasel.

Die Fünf wollen Helmut Dammann-Tamke (CDU), Petra Tiemann (SPD) und Kai Seefried (CDU) nachfolgen, die den Landkreis bisher in Hannover vertreten haben. Helmut Dammann-Tamke und Petra Tiemann beenden ihre Laufbahn. Kai Seefried ist im Herbst zum neuen Stader Landrat gewählt worden.

Eigentlich sollten sich acht Kandidaten den Fragen der Journalisten und der gut 60 Besucher der Podiumsdiskussion im Hotel Havenhostel stellen.

 

Beide Grünen-Kandidatinnen müssen absagen

Die beiden Grünen-Direktkandidaten Britta Sanders und Sandra Deutschbein mussten die Teilnahme aber krankheitsbedingt absagen. Der FDP-Kandidat Kilian Würsig konnte berufsbedingt nicht dabei sein. Linke und AfD werden von den Mittelständlern traditionell nicht eingeladen. „Wir konzentrieren uns auf das breite Mittelfeld der Politik“, sagte der Stader Kreislandwirt Johann Knabbe.

Zwei oder drei Teilnehmer werden nach der Wahl am 9. Oktober dem Landtag angehören. Umfragen sagen in beiden Wahlkreisen eine knappe Entscheidung zwischen den Kandidaten von CDU und SPD voraus. Melanie Rost-Reinecke hat zudem als Nummer vier auf der CDU-Landesliste eine Chance, auch ohne Direktmandat in den Landtag einzuziehen.

 

Alle Kandidaten kritisieren die Lage im Land

Bei den Fragen zur Wirtschaft, zur Energiekrise, zum öffentlichen Personennahverkehr, zur stockenden Digitalisierung der Schulen, dem desolaten Mobilfunknetz, zum Bildungssystem oder zum Bürokratieabbau gab es inhaltlich zwischen den Kandidaten keine großen Unterschiede. „Wenn ich sie nicht kennen würde, könnte ich nicht sagen, von welcher Partei sie kommen“, sagte ein Zuhörer am Ende der Veranstaltung. Alle Kandidaten sind durch ihre berufliche und ihre kommunalpolitische Arbeit dicht an der Basis. Zwischenzeitlich konnten Zuhörer den Eindruck gewinnen, dass nur Abgeordnete der Opposition vertreten waren, obwohl vier der fünf Bewerber Parteien angehören, die die SPD/CDU-Landesregierung stellen.

Ein Schwerpunkt der Diskussion war die aktuelle Energiekrise mit den explodierenden Energiekosten. Alle wollen Hilfen für den Mittelstand und die Menschen. Aber: „Das Gießkannenprinzip, jeder bekommt ein bisschen, das hat schon bei Corona nicht funktioniert“, sagte Melanie Rost-Reinecke. „Wir haben die Sommerpause vertan, der Mittelstand weiß nicht, was kommt“, sagte ihre CDU-Kollegin Birgit Butter. „Ich wünsche mir ein großes Entlastungspaket für den Mittelstand“, sagte Matthias Mittlmejer.

Die Diskussion zur Krisenhilfe ging nahtlos in den Bürokratie-Abbau über. „Jeder verspricht Entbürokratisierung, aber es wird trotzdem immer schlimmer“, sagte die CDU-Kreisvorsitzende Melanie Rost-Reinecke. „Ich würde mich sechs Wochen mit dem Bundeskanzler einschließen und ihm erzählen, was alles wegkann“, bot die FDP-Kandidatin Esther Deppe-Becker an. SPD-Mann Mittlmejer konnte berichten, dass eine Planung in seiner Heimatgemeinde Ahlerstedt einkassiert wurde, weil die Planungsgrenze auf der falschen Seite einer Abgrenzungsmarkierung eines Windparks gesetzt worden war. „Das ist einfach ein Strich auf einer Landkarte, aber wenn man den immer weiter vergrößert, bekommt dieser Strich plötzlich auch eine Breite“, so Matthias Mittlmejer.

Zum Thema Bürokratieabbau konnten alle Kandidaten haarsträubende Geschichten erzählen und damit die Folgen von Bundes- und Landespolitik vor Ort aufzeigen.

 

Das Land versagt beim Ausbau der erneuerbaren Energien

„Hat Niedersachsen beim Ausbau der erneuerbaren Energien versagt?“, fragte TAGEBLATT-Chefredakteur Arno Schupp die Bewerber angesichts der vielleicht im kommenden Winter fehlenden Energie. Der Bund müsse durch seine Flächenvorgaben die Arbeit der Länder machen. „Bei jeder neuen Planung eines Windparks gründet sich eine Bürgerinitiative dagegen“, berichtete die stellvertretende Landrätin Birgit Butter aus der Praxis einer Kommunalpolitikerin. „Der Krieg in der Ukraine hat vieles verändert. Die Akzeptanz für den Ausbau der erneuerbaren Energien steigt“, stellte Matthias Mittlmejer fest.

Alle Kandidaten sprachen sich für den Ausbau von Solaranlagen auch auf Freiflächen aus. Die beiden CDU-Bewerberinnen allerdings mit der Einschränkung, dass diese Flächen nicht der landwirtschaftlichen Produktion verloren gehen. Da konnte sie allerdings die SPD-Frau Corinna Lange beruhigen. „Alle Anträge kommen von Landwirten“, sagte sie. In ihrer Heimatsamtgemeinde Fredenbeck gibt es aktuell mehrere Projekte für den großflächigen Aufbau von Solarflächen.

„Werden Sie die A 20 für eine neue Landesregierung mit den Grünen opfern?“, fragte Moderator Vasel die beiden SPD-Bewerber. „Ich habe meinen Job in Hamburg aufgegeben, weil die Fahrt durch den Elbtunnel aufgrund der ständigen Staus nicht mehr möglich war“, so Corinna Lange, die Region brauche Elbtunnel und die A 20. Die aktuellen Umfragen sagen eine mögliche rot-grüne Mehrheit bei deutlichen Verlusten für die SPD voraus.

 

Was machen die Kandidaten nach der Wahl?

„Was haben Sie als erste konkrete Maßnahme vor, wenn Sie in den Landtag einziehen?“, fragte Björn Vasel. „Ich würde mich erst einmal mit den Leuten aus der Wirtschaft zusammensetzen, um zu wissen, was die brauchen“, sagte Corinna Lage. Matthias Mittlmejer würde die Möglichkeit, Sonderzahlungen bis zu 3000 Euro den Beschäftigten steuerfrei zu zahlen, so gestalten, dass auch das Weihnachtsgeld dazuzählt. „Ich würde mich für die Abschaffung der Bon-Pflicht einsetzen“, sagte Birgit Butter. Esther Deppe-Becker will dafür sorgen, dass die N-Bank kostengünstig und schnell Geld für den Mittelstand in der aktuellen Krise bereitstellt.

 

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung?

manfred v gizycki

Von Rechtsanwalt Manfred v. Gizycki

 

Das Bundesarbeitsgericht sieht Arbeitgeber gemäß seinem Urteil vom 13. September 2022 in der Pflicht, Arbeitszeiten systematisch zu erfassen.

Dies begründete es mit Blick auf das sogenannte Stechuhrurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2019.

In der Verhandlung sagte die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, die den Vorsitz führte:

„Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.“

Das BAG-Grundsatzurteil (1 ABR 22/21) wird weitreichende Auswirkungen auf die weit verbreiteten Vertrauensarbeitszeitmodelle bis hin zu mobiler Arbeit und Homeoffice haben, weil damit mehr Kontrolle nötig ist.

Nach dem Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden, nicht die gesamte Arbeitszeit.

Das Erfurter Gericht hatte über das sogenannte Initiativrecht der Betriebsräte zu entscheiden. Im vorliegenden Fall wollte ein Betriebsrat die Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung auch gegen den Willen des Arbeitgebers durchsetzen, weil er angefallene Überstunden dokumentieren wollte. Dieses Initiativrecht hat das BAG nun zwar verneint, unter Beibehaltung seiner bisherigen Rechtsprechung, dies aber eben mit der bereits bestehenden Pflicht begründet.

Der Gesetzgeber steht damit nun unter Druck, das deutsche Arbeitszeitgesetz zeitnah den Vorgaben des EuGH anzupassen. Im Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Im Dialog mit den Sozialpartnern prüfen wir, welchen Anpassungsbedarf wir angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Arbeitsrecht sehen. Dabei müssen flexible Arbeitszeitmodelle (zum Beispiel Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein.“

Kann die Zustimmung eines Betriebsratsvorsitzenden zu einer Betriebsvereinbarung auch ohne Beschluss des Betriebsrates wirksam sein?

 

 

 

 

 

 

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Laut Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Februar 2022 zum Aktenzeichen 1 AZR 233/21 kann eine solche Erklärung nicht wirksam sein. Dies hat zur Folge, dass die gesamte Betriebsvereinbarung unwirksam ist. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Es bestand ein dreiköpfiger Betriebsrat in einem Betrieb, in dem seit langem eine Betriebsvereinbarung zur Eingruppierung auf der Grundlage einer sogenannten analytischen Arbeitsbewertung sowie zur Prämienzahlung zur Anwendung kam. Der BR-Vorsitzende unterschrieb zwei ablösende Betriebsvereinbarungen, die sich nachteilig auf einen Arbeitnehmer auswirkten. Dieser klagte daraufhin auf Feststellung, dass er gemäß der bisherigen Betriebsvereinbarung einzugruppieren und zu vergüten sei. In dem laufenden Prozess kam dann heraus, dass der Vorsitzende die Betriebsvereinbarungen ohne Beschluss des Betriebsrats, aber nach vorheriger informeller Abstimmung mit den anderen beiden BR-Mitgliedern unterschrieben hatte. Diese kannten die bevorstehende Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung und erhoben keine Einwände. Von diesen internen Vorgängen des Betriebsrates hatte der Arbeitgeber bis zum Prozess keine Kenntnis. Eine nachträgliche Genehmigung der Zustimmung des BR-Vorsitzenden zu den beiden Betriebsvereinbarungen per BR-Beschluss gab es nicht.

Die Vorinstanzen (Arbeitsgericht Wuppertal sowie Landesarbeitsgericht Düsseldorf) führten aus, dass die Zustimmung des BR-Vorsitzenden ausreiche, auch wenn kein entsprechender BR-Beschluss vorliege. Das Landesarbeitsgericht stützte sich dabei auf die im Zivilrecht anerkannte sogenannte Anscheinsvollmacht, da die anderen beiden BR-Mitglieder von der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarungen wussten und der Arbeitgeber im guten Glauben von einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung ausging.

Das Bundesarbeitsgericht hob jedoch das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf auf und verwies die Angelegenheit zurück. Es führte hierzu aus, dass eine rechtlich bindende Vertretung des Betriebsrats durch den Vorsitzenden ohne ordnungsgemäßen BR-Beschluss jedenfalls dann nicht möglich sei, wenn es um den Abschluss einer Betriebsvereinbarung gehe. Eine Anscheinsvollmacht – wie vom LAG Düsseldorf bejaht – setze voraus, dass der Vertretende das Handeln des Scheinvertreters nicht kennt, es aber bei sorgfältigem Vorgehen hätte erkennen und verhindern können und dass die andere Vertragspartei darauf vertraut, dass der Vertretende das Handeln des Vertreters kennt und mit ihm einverstanden ist. Diese Art der Zurechnung sei aber auf das Verhältnis von Betriebsrat und BR-Vorsitzenden nicht zu übertragen. Denn Betriebsvereinbarungen gelten für alle Arbeitnehmer des Betriebs unmittelbar und zwingend. Dafür ist eine demokratische Legitimation erforderlich, diese liegt in dem mehrheitlich getroffenen Beschluss des Betriebsrats. Die Geltung einer Betriebsvereinbarung allein aufgrund einer Anscheinsvollmacht des BR-Vorsitzenden ist damit nicht vereinbar.

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Gemäß § 26 Absatz 2 BetrVG ist die Vertretungsmacht des BR-Vorsitzenden für den Betriebsrat gesetzlich beschränkt. Daher dürfen die BGB-Regeln über die Stellvertretung für das Verhältnis von Betriebsrat und BR-Vorsitzenden nicht in vollem Umfang gelten.

Löst die Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske (sogenannte OP-Maske) auf Anweisung des Arbeitgebers die Verpflichtung zur Zahlung eines Erschwerniszuschlags aus?

 

anna fischer neu

 

 

 

 

 

 

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Laut einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20. Juli 2022 zum Aktenzeichen 10 AZR 41/22 nicht. Der Entscheidung lag die Anwendung des Rahmentarifvertrages für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung zugrunde, dürfte aber auch auf alle übrigen tarifvertraglichen sowie individualrechtlichen Regelungen Anwendung finden, die die Zahlung eines Erschwerniszuschlags beinhalten.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war bei der Beklagten als Reinigungskraft beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Regelungen des Rahmentarifvertrages für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung Anwendung. Dieser Rahmentarifvertrag sah die Zahlung eines Erschwerniszuschlages unter anderem dann vor, wenn die Arbeitnehmer mit persönlicher Schutzausrüstung arbeiten. Diese Regelung umfasste auch das Tragen einer vorgeschriebenen Atemschutzmaske. Der Kläger trug in der Zeit von August 2020 bis Mai 2021 auf Anweisung seines Arbeitgebers, die im Zusammenhang mit den Corona-Schutzmaßnahmen erfolgte, bei der Ausführung der Reinigungsarbeiten eine medizinische Gesichtsmaske. Er verlangte hierfür den tariflichen Erschwerniszuschlag und argumentierte, dass auch das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske bei der Arbeit eine Erschwernis darstelle, die durch den Erschwerniszuschlag abgegolten werden solle. Eine medizinische Gesichtsmaske sei als Teil der persönlichen Schutzausrüstung anzusehen, weil sie auch die Gefahr der eigenen Ansteckung verringere.

Sowohl die erste als auch die zweite Instanz wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers beim Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht führte aus, dass eine medizinische Gesichtsmaske keine Atemschutzmaske im Sinne der tariflichen Regelung sei. Diese knüpfe insoweit an die maßgeblichen Vorschriften des Arbeitsschutzrechts an. Danach fällt unter den Begriff der Atemschutzmaske nur eine solche Maske, die vorrangig den Eigenschutz bezweckt und zu den sogenannten persönlichen Schutzausrüstungen gehört. Dies trifft auf medizinische Gesichtsmasken aber nicht zu. Diese bezweckt insbesondere einen Fremd-, aber keinen Eigenschutz, der den Anforderungen an eine persönliche Schutzausrüstung im Sinne der arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften genügt. Dementsprechend stehe dem Kläger kein Anspruch auf den tariflichen Erschwerniszuschlag zu.

Es dürfte zwar auf die konkreten Regelungen in Arbeitsverträgen und tariflichen Regelungen ankommen, jedoch kann im Grundsatz festgehalten werden, dass medizinische Gesichtsmasken nicht zur persönlichen Schutzausrüstung gehören und damit das Tragen nicht zuschlagspflichtig ist.

 

Adresse

Arbeitgeberverband Stade Elbe‑Weser‑Dreieck e. V.
Poststraße 1
21682 Stade
Tel.: 04141 4101-0
Fax: 04141 4101-20
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