Höheres Gehalt durch gutes Verhandlungsgeschick?

 

 

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Von Rechtsanwalt Manfred v. Gizycki

 

Die Außendienstmitarbeiterin eines Unternehmens der Metall- und Elektroindustrie erhielt bei gleicher Tätigkeit weniger Entgelt als zwei Arbeitskollegen, wovon der eine vor seiner Einstellung darauf bestand, die Tätigkeit gar nicht erst aufnehmen zu wollen, wenn man auf seine hohe Gehaltsforderung nicht eingehe. Die Arbeitgeberin erfüllte diese Forderung. Die Klägerin klagte nun auf die Differenz zwischen ihrem und dem Gehalt des Kollegen, der besser verhandelt hat.

Das Bundesarbeitsgericht betätigte seine bisherige Rechtsprechung, dass allein der Umstand, dass der Arbeitgeber Beschäftigte verschiedenen Geschlechts mit vergleichbarer Tätigkeit unterschiedlich bezahlt, genügt, um die Vermutung einer unmittelbaren Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ im Sinne von § 22 AGG zu begründen.

Hier hätte der Arbeitgeber Tatsachen vortragen müssen und ggf. beweisen, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.

Aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts genügte hierfür offenbar weder der Verweis auf ein besseren Verhandlungsergebnis noch das Interesse des Arbeitgebers an der Gewinnung des Arbeitnehmers. Das Urteil vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) liegt bisher erst als Pressemitteilung vor.

Kann die Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erst- und Folgebescheinigung für einen passgenauen Zeitraum der Kündigungsfrist den ansonsten hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern?

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Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Ja! Das Bundesarbeitsgericht hat sich im September 2021 bereits dazu positioniert, dass die Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als Erstbescheinigung den ansonsten geltenden hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann erschüttern kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. Infolge dessen hätte ein Arbeitnehmer konkret vortragen und ggf. beweisen müssen, tatsächlich arbeitsunfähig gewesen zu sein. Nunmehr hat das Arbeitsgericht Neumünster in einem Urteil vom 23. September 2022 zum Aktenzeichen 1 Ca 20b/22 entschieden, dass dies auch dann gelte, wenn die gesamte Dauer der verbliebenen Kündigungsfrist durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen abgedeckt wird.

Nach einer arbeitgeberseitigen fristlosen sowie hilfsweise ordentlichen Kündigung machte der Kläger geltend, er sei für den Zeitraum ab Kündigungsausspruch bis zum Beendigungszeitpunkt, mithin fast zwei Monate, arbeitsunfähig erkrankt, so dass Entgeltfortzahlungsansprüche bestünden. Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung entsprechender Entgeltfortzahlungsleistungen. Er bestritt das Vorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung für den genauen Zeitraum bis zum ordentlichen Beendigungszeitpunkt. Das Arbeitsgericht sah die fristlose Kündigung als rechtsunwirksam an, so dass es über die ordentliche Kündigung zu entscheiden hatte. Im Rahmen dieser Beurteilung sah das Gericht einen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer der Kündigungsfrist als nicht gegeben an. Der Kläger sei in dem Prozess seiner Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit nicht ausreichend nachgekommen. Die von dem Arbeitnehmer eingereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (Erst- und diverse Folgebescheinigungen) haben zwar einen hohen Beweiswert, es ergeben sich jedoch ernsthafte Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung, da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen passgenau die nach der Kündigung noch verbleibende Dauer des Arbeitsverhältnisses abdecken, auch wenn der gesamte Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit erst durch eine Erst- und mehrere Folgebescheinigungen bescheinigt wird. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, dass es keinen Unterschied machen könne, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine einzelne ärztliche Bescheinigung (wie in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im September 2021) oder durch mehrere Bescheinigungen, von denen eine Erst- und die übrigen Folgebescheinigungen sind, dargelegt wird. Bei den Fällen ist gemein, dass die gesamte verbliebene Zeit des restlichen Arbeitsverhältnisses „passgenau“ abgedeckt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn, wie im zugrundeliegenden Fall, alle Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durch die gleiche Ärztin ausgestellt wurden und der Arbeitnehmer direkt im Anschluss an den letzten Tag der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wieder arbeitsfähig ist und ein neues Arbeitsverhältnis beginnt. Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass das Ende der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit auf einen Montag fiel und der Arbeitnehmer damit ab Dienstag wieder arbeitsfähig war. Eine derartige „Spontangenesung“ mitten in der Woche sei aus Sicht des Arbeitsgerichts schlicht nicht plausibel und führe dazu, dass der Beweiswert einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist. Der Arbeitnehmer war infolge dessen dazu verpflichtet, konkret darzulegen und ggf. nachzuweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Dieser Verpflichtung ist er nicht nachgekommen, so dass der Entgeltfortzahlungsanspruch entfallen ist.

Damit bestätigt das Arbeitsgericht Neumünster die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Entscheidung ist daher zu begrüßen.

Google Fonts: Razzia bei Berliner Abmahnanwalt

Nach einem Be­richt des Ber­li­ner Ta­ges­spie­gels vom 21.12.2022 sind die Kanz­lei eines An­walts in Ber­lin-Mitte sowie wei­te­re Räum­lich­kei­ten aus des­sen Man­dant­schaft von der Staats­an­walt­schaft durch­sucht wor­den. Gegen den 53-Jäh­ri­gen werde in 2.418 Fäl­len wegen ge­werbs­mä­ßi­gen Be­trugs und Er­pres­sung im Zu­sam­men­hang mit Ab­mah­nun­gen in Bezug auf die Ein­bin­dung von Goog­le Fonts er­mit­telt.

Automatisiertes Aufspüren von Google-Fonts-Nutzern

Laut Tagesspiegel geht es bei den Vorwürfen um ein automatisiertes Aufspüren und Abmahnen von Google-Fonts-Nutzern, die diese aus dem Internet ladbaren Schriftarten für die Gestaltung ihrer Webseite nutzen. Hintergrund ist, dass Google Fonts durch Weiterleitung von Nutzerdaten wie der IP-Adresse an Google ein "Datenleck" beinhaltet. Nachdem das Landgericht München in einem Urteil vom 20.01.2022 die Nutzung von Google Fonts auf Webseiten für datenschutzwidrig gehalten hatte, ist dadurch eine Abmahnwelle über Schmerzensgeldforderungen wegen Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ausgelöst worden.

Abmahnungen waren rechtswidrig

Wie der Tagesspiegel ausführt, habe der Anwalt mit einer eigens programmierten Software ganz bewusst Webseiten mit eingebundenen Google Fonts gesucht und die Ergebnisprotokolle genutzt, um eine abmahnfähige immaterielle Schädigung einer Person vorzutäuschen. Da aber keine Person gehandelt habe und durch die konkrete Absicht derartige Seiten aufzusuchen auch eine faktische Zustimmung zur Datenübermittlung vorgelegen habe, seien die Abmahnungen unter Drohung mit einem Gerichtsverfahren rechtswidrig gewesen. Der Anwalt habe mit dieser Masche und Vergleichsangeboten über 170 Euro je Fall eine Summe von 346.000 Euro eingenommen, die jetzt per Arrestbeschlüssen sichergestellt worden sei.

Rechtfertigt die ernsthafte Bedrohung des Vorgesetzten und seiner Familie mit körperlicher Gewalt eine fristlose Kündigung?

tobias wilkens

Führt dies bei einer Betriebsratsanhörung, bei der versehentlich unzutreffende Sozialdaten des Arbeitnehmers genannt werden, zur Unwirksamkeit der Kündigung aufgrund fehlerhafter Betriebsratsanhörung?

 

 

  

Von Rechtsanwalt Tobias Wilkens

 

 

Ja und nein. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf ist in seinem nicht rechtskräftigen Urteil (Az. 12 Sa 705/21) vom 19. Januar 2022 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Äußerungen eines Arbeitnehmers gegenüber dem Personalverantwortlichen „Ihr Ochsen, wenn ich noch einmal einen von euch vor meiner Haustür und meinem Briefkasten sehe, werde ich euch schlagen, dann kann nicht mal die Polizei euch helfen“ und „Ochse, du musst in Zukunft auf dich und deine Familie achten“ eine ernstliche Drohung darstellen, die gemäß § 626 Abs. 1 BGB eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist rechtfertigt.

Der Arbeitnehmer hatte im Nachgang zu einer Abmahnung, die durch den Personalverantwortlichen zusammen mit einem Zeugen in den Briefkasten geworfen wurde, die Abmahnung als lächerlich bezeichnet und den Personalverantwortlichen sodann mit den obigen Äußerungen bedroht.

Im Zuge der Betriebsratsanhörung hat der Arbeitgeber versehentlich und unzutreffend den Familienstand des Arbeitnehmers mit ledig, keine Kinder, angegeben. Dem Betriebsrat war bekannt, dass der Arbeitnehmer, welcher jahrelang Mitglied des Betriebsrats gewesen war, tatsächlich verheiratet war und ein Kind hatte. Dies hat der Betriebsrat in seiner Stellungnahme zur Betriebsratsanhörung angegeben und der Arbeitnehmer hatte sich im Kündigungsschutzverfahren auf eine fehlerhafte Betriebsratsanhörung berufen.

Das LAG hat hierzu zustimmungswürdig ausgeführt:

Der Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Der Arbeitgeber muss daher dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann.

Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung - ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers - auch objektiv, d. h. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert. Bei der verhaltensbedingten Kündigung, um die es hier geht, kann deshalb auf die Mitteilung der „Sozialdaten“ des Arbeitnehmers nicht deshalb verzichtet werden, weil sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren. Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten“ bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf diese ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen.

Eine bewusst unrichtige Unterrichtung verletzt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit und führt zur Unwirksamkeit der Kündigung. Eine bloß vermeidbare oder unbewusste Fehlinformation führt dagegen noch nicht für sich alleine zur Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung. Beruhen die falschen Angaben auf einer Verwechslung von Daten, ist dies im Rahmen von § 102 Abs. 1 BetrVG unschädlich (BAG 21.11.2013 - 2 AZR 797/11, juris Rn. 26).

Hier haben die Unterhaltspflichten bei objektiver Würdigung nichts mit der Drohung des Klägers zu tun. Sie lassen sie in keiner Weise verständlicher oder milder erscheinen. Sie führen auch bei der Interessenabwägung nicht zu einem anderen Ergebnis.

Adresse

Arbeitgeberverband Stade Elbe‑Weser‑Dreieck e. V.
Poststraße 1
21682 Stade
Tel.: 04141 4101-0
Fax: 04141 4101-20
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