Besteht in einem Kündigungsschutzprozess ein Verwertungsverbot in Bezug auf Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen?

 

tobias wilkens

Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Tobias Wilkens

 

In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.

Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm u.a. vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.

Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger u.a. geltend gemacht, er habe am 2. Juni 2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg.

Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dieses musste nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen. Dies folgt aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Der Senat konnte offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 6. Juli 2022 – 8 Sa 1149/20 –

Kann ein Arbeitgeber die Vermittlungsprovision, die er an einen Headhunter zahlt, auf den Arbeitnehmer abwälzen?

 

 

anna fischer neu

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Nein, urteilte das Bundesarbeitsgericht mit Entscheidung vom 20. Juni 2023 zum Aktenzeichen 1 AZR 265/22.

Im zugrunde liegenden Fall zahlte der Arbeitgeber für die erfolgreiche Vermittlung eines Arbeitnehmers an einen Headhunter knapp 4.500,00 €. Nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Probezeit sollten weitere 2.230,00 € durch den Arbeitgeber gezahlt werden. Jedoch kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis bereits nach zwei Monaten fristgerecht innerhalb der Probezeit. Der Arbeitgeber wollte auf der bereits gezahlten Vermittlungsprovision in Höhe von 4.500,00 € nicht vollständig sitzen bleiben und zog daraufhin einen Teilbetrag von knapp 800,00 € vom Gehalt des Arbeitnehmers ab. Besonderheit in diesem Fall war, dass die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages dies erlaubten. Sie sahen vor, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über 14 Monate hinaus fortbesteht und unter anderem aus vom Arbeitgeber zu vertretenen Gründen von ihm selbst beendet werden würde. Der Arbeitnehmer hatte den Vertrag mit dieser Klausel zwar unterschrieben, wollte die Abwälzung der Vermittlungsprovision aber trotzdem nicht akzeptieren und klagte auf die Auszahlung des einbehaltenen Betrages.

Sowohl das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein als auch das Bundesarbeitsgericht entschieden zu Gunsten des Klägers. Das BAG führte in seiner bislang veröffentlichten Pressemitteilung aus, dass die Abwälzungsklausel den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht lohnen, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlicher zulässiger Weise beendet. Der Arbeitnehmer sei ansonsten in seinem Recht auf freie Berufswahl aus Artikel 12 Grundgesetz beeinträchtigt.

Dementsprechend lässt sich abschließend festhalten, dass der Arbeitgeber die von ihm eingesetzten Kosten für die Personalgewinnung auch bei einer entsprechenden Kostenübernahmeregelung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages zu tragen hat. Eine Abwälzung auf den Arbeitnehmer ist in der Form nicht möglich.

Rechtsfrage aktuell

Ist die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses einer Arbeitnehmerin in einer Kfz-Zulassungsstelle gerechtfertigt, die mit den übrigen Kollegen die im Amt verbliebenen entwerteten Kennzeichen für die Aufbesserung der betrieblichen Weihnachtsfeierkasse bei ebay veräußert hat?

 

tobias wilkens

 

 

 

 

 

 

Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Tobias Wilkens

Nein. Das Arbeitsgericht Hildesheim hatte mit Urteil vom 17. August 2022 zum Az. 2 C Ca 323/22 Ö die außerordentliche Kündigung einer Arbeitnehmerin der Zulassungsstelle des Straßenverkehrsamtes des Landkreises Holzminden als unwirksam festgestellt. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren mit Urteil vom 8. Februar 2023 zum Aktenzeichen 8 Sa 712/22, welches erst am 22. Mai 2023 in einer Pressemeldung veröffentlicht wurde, die Berufung zurückgewiesen und damit das erstinstanzliche Urteil bestätigt.

Die Klägerin war eine von 12 Beschäftigten, die im November und Dezember 2021 durch den Landkreis Holzminden gekündigt worden ist, weil Beschäftigte der Zulassungsstelle Jahrzehnte lang mit dem Wissen der Bereichsleiter offen gesammelte KFZ-Kennzeichen privat an einen Schrotthändler bzw. über eBay versteigert hatten. Die Erlöse aus den Einnahmen wurden u.a. zur Finanzierung der betrieblichen Weihnachtsfeier verwendet.

Auch das Landesarbeitsgericht kam in seiner Urteilsbegründung zu dem Ergebnis, dass sich die außerordentliche Kündigung der aufgrund ihrer langjährigen Beschäftigungsdauer tariflich ordentlichen unkündbaren Klägerin als unverhältnismäßig erweist, weil der Landkreis die zu Gunsten der Klägerin sprechenden Umstände nicht in ausreichendem Maße in die von ihm durchzuführende Interessenabwägung hat einfließen lassen.

Es hat hierzu festgestellt, dass der Verkauf der Schilder an einen Schrotthändler in der Zulassungsstelle des Beklagten schon jahrzehntelang geübte Praxis war, als die Klägerin ihre Tätigkeit in der Zulassungsstelle begann. Allein schon das Bestehen dieser Praxis, das kollektive, von niemandem in Frage gestellte Sammeln der entwerteten Schilder, bei der Klägerin den Irrtum befördern konnte, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie hieran mitwirke. Der Umstand, dass mehrere aufeinander folgende Betriebsleiter von der hinsichtlich der Kennzeichen geübten Praxis wussten, diese nicht beanstandeten, teils sogar aktiv hieran mitwirkten, konnte bei der Klägerin die Fehlvorstellung eines legitimen Handelns noch bestärken. Zu Gunsten der Klägerin war weiter zu berücksichtigen, dass sie selbst weder ausländische Kennzeichen über eBay versteigert, noch die Transaktion mit dem Schrotthändler abgewickelt, noch über die Einnahmen Buch geführt oder die eingenommenen Geldbeträge verwaltet hat.

Die weiteren 3 parallelen Berufungsverfahren des Landkreises Holzminden gegen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 15.06.2022 und 17.08.2022 endeten durch Vergleich. Die weiteren 8 Kündigungsschutzverfahren endeten bereits durch Vergleich vom 15.06.2022 vor dem Arbeitsgericht Hildesheim.

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